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Entwicklungspsychologie nach Erikson

Entwicklungspsychologie des Kindes: Der amerikanische Psychoanalytiker Erikson (1902-1994) entwickelte das Modell der psychosozialen Entwicklungsphasen von Sigmund Freud weiter und erweiterte es um die Entwicklungsphasen im Erwachsenenalter.

Entwicklungspsychologie nach Erikson
© iStock.com/gradyreese

Während nach Freud die psychosoziale Entwicklung eines Menschen mit dem Ende der genitalen Phase (etwa das 18. Lebensjahr) als abgeschlossen gilt, entwickelt sich nach Erikson der Mensch sein ganzes Leben lang weiter. Er durchläuft verschiedene, von Geburt an bereits angelegte Phasen der Entwicklungspsychologie, die aufeinander aufbauen. Entwicklung ist also ein lebenslanger Prozess.

Jede Entwicklungsphase steht laut Erikson für ein bestimmtes Entwicklungsthema, das zunächst zu einer Krise führt. Diese Krise ist nicht negativ gemeint, sondern steht für die Integration von zwei gegensätzlichen Eigenschaften/Zuständen (positiv und negativ). In der Lösung dieses Konflikts der beiden gegensätzlichen Pole liegt die eigentliche Entwicklungsaufgabe in der jeweiligen Phase.

Wird die Krise im positiven Sinne gelöst, entwickelt der Mensch eine gesunde Persönlichkeit. Schafft er das nicht, bleibt die Entwicklungsaufgabe offen und es können im Laufe des Lebens wieder ähnliche Probleme entstehen. Jede Entwicklungsstufe baut auf die vorhergehende auf und führt somit im höheren Erwachsenenalter zur Reife. Die acht Entwicklungsstufen mit ihren "Lebensaufgaben" hat Erikson in seinem Reifemodell (auch: Stufenmodell) skizziert.

I. Urvertrauen vs. Misstrauen (1. Lebensjahr)

In dieser ersten Entwicklungsphase des Lebens (oral-sensorische Phase) geht es darum, dass das Kind den Glauben an die Verlässlichkeit der Welt erhält. Sie entspricht in etwa der oralen Phase nach Freud. Das Kind macht die Erfahrung der Fürsorge und dass immer jemand da ist, es versorgt und ihm Zuspruch gibt. Körperliche Nähe, Sicherheit, Versorgung und Geborgenheit spielen in dieser Phase eine Rolle. Die Mutter als "Versorgerin" und Bezugsperson spielt eine wichtige Rolle und so erlebt das Kind in dieser Phase seine erste "Krise", indem es akzeptieren und überwinden muss, wenn die Mutter und auch der Vater sich zeitweise von ihm abwenden und ihre Aufmerksamkeit anderen Dingen zuwenden. Zudem lernt es in dieser Phase sich selbst als Individuum kennen, das eben nicht eins mit der Mutter ist, aber auf die Umwelt einwirken kann.

Das Baby sollte beide Gefühle, also Vertrauen und Misstrauen, in dieser Phase kennenlernen. Entscheidend ist, dass das Vertrauen überwiegt. Das geschieht nicht allein durch eine quantitative Zuwendung. Vielmehr spielt die Qualität der Zuwendung eine große Rolle.

Gelingt die positive Lösung des Konflikts nicht, so äußert sich das im späteren Leben als eine misstrauische Grundeinstellung, wenig Selbstvertrauen oder sogar durch Depressionen.

II. Autonomie vs. Scham und Zweifel (Kleinkindalter)

In dieser Phase (muskulär-anale Phase) zeigt das Kind erste Unabhängigkeitsbestrebungen und möchte sich auch von seiner Umwelt abgrenzen. Es ist nun im zweiten bis dritten Lebensjahr durch seine muskuläre Entwicklung zunehmend in der Lage, sich zu entfernen, wieder zurückzukommen, anzufassen und loszulassen. Dieser Aspekt bezieht sich auch auf die Kontrolle der Ausscheidungen. Behalten und loslassen spielen hier ähnlich wie in der analen Phase nach Freud eine entscheidende Rolle, denn die neugewonnene Kontrolle über seinen Körper gibt dem Kind Autonomie. Es grenzt stärker zwischen sich selbst, den Eltern und der Umwelt ab, entwickelt Willenskraft, sagt auch "Nein!"

Wird das Kind in dieser Phase eingeschränkt oder von den Eltern zu sehr in seinen Fähigkeiten kritisiert, kann es sein, dass sich Scham und Zweifel entwickeln: Scham, weil es scheinbar "unfähig" ist und Zweifel, weil es an den eigenen Fähigkeiten zweifelt.

III. Initiative vs. Schuldgefühl (Spielalter)

Im 4. und 5. Lebensjahr steht laut Entwicklungspsychologie nach Erikson die frühkindliche Sexualität im Vordergrund. Durch seine zunehmenden motorischen Fähigkeiten (laufen, spielen) entdeckt das Kind weiter die Umwelt. Es ist daher wichtig, es bei seinen Aktivitäten zu unterstützen und zu ermuntern, ihm aber nicht alles abzunehmen, sodass es auch Eigeninitiative entwickeln kann. Es dringt durch seine Aktivitäten immer wieder in die Erwachsenenwelt vor und entwickelt Schuldgefühle, wenn es das Gefühl hat, dass es dazu kein Recht hat ("Dazu bist du noch zu klein!") oder wenn es zu viele Rückschläge erlebt. Gleichzeitig kann es zu Schuldgefühlen kommen, weil das Kind das Inzest-Tabu entdeckt. Die Eltern gehören einander und das Kind kann sich gegen den gleichgeschlechtlichen Elternteil nicht durchsetzen.

Die Lösung dieses Konflikts liegt in der Entwicklung von Zielstrebigkeit und Eigeninitiative und dem positiven Umgang mit Schuldgefühlen. In dieser Phase entwickeln sich Gewissen und Moral.

IV. Leistung vs. Minderwertigkeitsgefühl (Schulalter)

In dieser Phase (6. bis 11. Lebensjahr), die in etwa der Latenzphase nach Freud entspricht, stehen laut Erikson das Herausbilden von "Werkssinn", Leistungsfähigkeit und Produktivität im Vordergrund. Das Kind lernt, wie die Dinge funktionieren, wie Pläne umgesetzt und konsequent verfolgt werden können und was dafür benötigt wird. Es möchte etwas Nützliches tun und an der Welt der Erwachsenen teilhaben. Zu einem großen Teil geschieht dies in der Schule. Erlebt sich das Kind in dieser Phase zu häufig scheiternd, etwa, weil Anerkennung durch Erziehende und Anerkennung durch Gleichaltrige/Freunde fehlen, oder weil es feststellt, dass seine Fertigkeiten noch nicht ausreichen, entwickelt es ein Minderwertigkeitsgefühl.

Können und das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten sind die Lösung der Krise dieser Entwicklungsstufe. Das Kind entwickelt das Bedürfnis, etwas Nützliches zu tun. Die Auseinandersetzung mit seiner Umwelt nimmt das Kind als lohnenswert wahr.

V. Identität vs. Identitätsdiffusion (Adoleszenz)

In der Pubertät, also etwa zwischen dem 12. und 18. Lebensjahr, suchen und erarbeiten Jugendliche ihre Identität. Nach Erikson ist Identität etwas, das man sich erarbeiten muss, indem man selbstständiger wird, ausprobiert und sich mit Zielen und Werten auseinandersetzt. Auch die Abgrenzung von den Eltern spielt eine große Rolle. In dieser Phase entwickeln Jugendliche Pläne und Zukunftsszenarien für sich. Die positiven Erfahrungen (Krisenlösungen) aus den vorherigen Entwicklungsstufen tragen zur Ich-Identität und zur Einordnung der eigenen Person in die Gesellschaft bei.

Misslingt diese Stufe der Entwicklung, kommt es zu Unklarheit über die eigene Identität. Ein Jugendlicher ist dann nicht in der Lage, seine "Rolle" zu finden und flüchtet sich entweder in eine unklare Identität (nicht genau wissen, "wer man ist"), in die Außenseiterrolle oder schließt sich Gruppen an, in denen klare Strukturen vorgegeben sind. Manchmal flüchtet er auch in Drogenkonsum.

VI. Intimität vs. Isolierung (frühes Erwachsenenalter)

Ist die Identitätsfindung in der vorherigen Phase gelungen, können im frühen Erwachsenenalter (etwa 19. bis 30. Lebensjahr) intime Beziehungen zu anderen Menschen aufgebaut werden, ohne sich selbst "zu verlieren". Kontakt, Liebe und Hingabefähigkeit ist in diesem Kontext vor allem, aber nicht nur, auf Liebesbeziehungen gemünzt. Laut Erikson ist es in dieser Phase wichtig, andere Menschen, mit denen man eine Bindung eingeht, so zu akzeptieren, wie sie sind und selbst zu lernen, Kompromisse zu schließen. Gelingt dies nicht, entsteht Isolation.

VII. Generativität vs. Stagnation (Erwachsenenalter)

In dieser Phase, die etwa zwischen dem 31. und 65. Lebensjahr stattfindet (oft auch früher oder später), ziehen die meisten Menschen ihre Kinder groß. Mit Generativität ist aber nicht Fortpflanzung und Zeugungsfähigkeit allein gemeint, sondern generell die Fähigkeit, sich um andere Menschen, auch nachfolgende Generationen, zu kümmern und zu sorgen. Das kann auch durch soziales und gesellschaftliches Engagement, durch Lehren, Kreieren von Kunst oder Literatur geschehen. Entwicklungspsychologisch ist das nach Erikson die Phase, in der die richtige Balance zwischen dieser Generativität und der Stagnation, also das Um-sich-selbst-Kümmern, gefunden wird. Nimmt die Stagnation überhand, kommt es zu einer depressiven oder narzisstischen Stagnation. Der Narzisst kümmert sich dann nur um sich und seine eigenen Bedürfnisse und lässt alle anderen Menschen und die Zukunft außen vor. Bei der depressiven Stagnation überwiegt das Gefühl, nicht voran zu kommen und nichts bewirken zu können.

Die richtige Balance von Generativität und Stagnation ist besonders wichtig, da sich auch ein Zuviel an Generativität ungünstig auswirken kann. Etwa, wenn jemand so stark sozial engagiert ist, dass er vor lauter Terminen und Anforderungen keine Zeit mehr für sich und seine Bedürfnisse findet.

VIII. Ich-Integrität vs. Verzweiflung (Reifes Alter bis zum Tod)

Die Phase des reifen Alters (etwa ab dem 65. Lebensjahr) ist wieder mit vielen Umwälzungen verbunden. Manche scheiden jetzt aus dem Berufsleben aus, die Kinder sind aus dem Haus, neue Möglichkeiten können sich erschließen. Wer in dieser Entwicklungsphase im Großen und Ganzen positiv auf das bisherige Leben zurückschaut, fühlt sich vollkommen und zufrieden, erreicht die Ich-Integrität und damit eine Weisheit. Mit Weisheit ist nicht Wissen an sich gemeint, sondern Lebenserfahrung und Gelassenheit sowie ein optimistischer Blick in die Zukunft trotz der zu erwartenden Einschränkungen, die das Alter zwangsläufig mit sich bringt.

Überwiegen in der Rückschau negative Gedanken und überwiegen (eigentlich begründete) Ängste - es sterben Weggefährten, der Körper macht nicht mehr alles, was man möchte, vielleicht kommt es zu einer ernsthaften Erkrankung, man fühlt sich allein - tritt ein Zustand der Verzweiflung ein. Man konzentriert sich auf Vergangenes, hadert mit Entscheidungen, die man selbst getroffen hat oder bereut manche Schritte sogar. Ich-Integrität bedeutet, dass man mit diesen Gedanken ins Reine kommt und damit auch den nahenden Tod akzeptiert.

Beiträge im Forum "Geburtstermin November/Dezember 2017"
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